Doch auch wenn die Anbauflächen größer werden, ist Spreewälder Leinöl keine Massenware. Denn der Ertrag liegt bei lediglich 1 – 1,5 Tonnen pro Hektar. In jeder der 200ml-Flaschen befindet sich also ein kleiner Schatz aus dem Spreewald. Auch aus diesem Grund bezeichnen die Bewohner der Region ihr Leinöl auch als „blaues Gold“…
Nach dem Mähen werden die Samen durch Dreschen aus den Kapseln geholt. Teile anderer Pflanzen müssen aussortiert werden. Dies geschieht in Vetschau/Spreewald, wo die Spreewald-Mühle einen Reinheitsgrad von 99,9% erreicht. Sind die Leinsamen gereinigt, machen sie sich auf den Weg zu den Ölmühlen, die das Spreewälder Leinöl pressen.
Über Generationen wurde das Wissen um die richtige, schonende Verarbeitung der Samen weitergegeben. Auch die Industrialisierung hatte keinen Einfluss auf die Bedeutsamkeit der Ölmühlen. Zwar zogen vielerorts mechanische Pressen in die Mühlen ein, doch das Handwerk war weiterhin unabdingbar. Erst die mangelnde Versorgung mit Fetten durch die Wirren der Kriege rüttelten an den alten Traditionen. Durch Raffination hergestellte Öle deckten den Bedarf, der Berufszweig starb beinahe aus.
Das Wissen blieb jedoch erhalten, Traditionen werden wieder belebt und immer mehr Menschen widmen sich der Ölmüllerei. Neben vielen anderen Sorten wird im Spreewald traditionell Leinöl gepresst. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie die Öle, die entstehen. Doch das Ergebnis ist immer das Gleiche: Spreewälder Leinöl, das sich durch seinen unverwechselbaren Geschmack auszeichnet.
Das Spreewälder Leinöl wird traditionell in zwei unterschiedlichen Verfahren gewonnen: Entweder mit einer Schneckenpresse oder mit einer Stempelpresse. In beiden Fällen werden die Samen nach vorherigem Aufbrechen unter hohem Druck zusammengepresst. Durch diese schonende, rein mechanische Behandlung bleiben die wichtige Inhaltsstoffe, vor allem die mehrfach ungesättigten Fettsäuren, erhalten.
Übrig bleibt der Leinkuchen: Ausgepresste Leinsamen mit einem Restgehalt von circa 10% Öl. Dieses Nebenprodukt der Leinölherstellung eignet sich hervorragend, um daraus zum Beispiel Power-Riegel herzustellen. Mahlt man daraus Mehl, kann man es zum Beispiel auch zum Backen von Leinölbrot einsetzen. Selbst Tierbesitzer nutzen gern Leinkuchen, denn regelmäßig verfüttert sorgt es für ein glänzendes Fell.
Wenngleich nicht jedes Spreewälder Leinöl als kaltgepresst bezeichnet ist, entstehen bei allen Pressverfahren nur geringe Temperaturen. So werden die instabilen Verbindungen der Fettsäuren nicht zerstört und das Öl behält seine gesundheitsfördernde Wirkung. Seinen herrlichen, leicht nussigen Geschmack erhält das Spreewälder Leinöl durch die Trübstoffe, die im Öl verbleiben. Sie sind zum einen Geschmacksträger, enthalten zum anderen aber auch Begleitstoffe wie Lipoproteine. Diese wiederum sind biologisch wertvoll, weil sie den Zellstoffwechsel begünstigen.
Ungesättigte Fettsäuren sind sehr reaktionsfreudig. In der Praxis heißt das, dass Leinöl – wenn es Licht und Sauerstoff ausgesetzt ist – schnell verdirbt. Kühl und dunkel aufbewahrt hält sich frisch gepresstes Leinöl jedoch vier bis sechs Wochen. Größere Mengen, die nicht in dieser Zeit aufgebraucht werden können, kann man bedenkenlos im Tiefkühlschrank lagern. Mit einem Gefrierpunkt von ca. -20 °C bleibt es weiterhin flüssig.
Eine weitere Möglichkeit, das „ranzig werden“ zu verhindern, ist die Fettsäuren an schwefelhaltige Aminosäuren zu binden. Viele Rezepte zu Leinöl gehen genau diesen Weg. Denn Aminosäuren sind spezielle Eiweiße, die sich in Milch und milchhaltigen Produkten wie Quark finden. Frisches Gemüse wie Paprika, Lauch oder Zwiebeln hingegen ist schwefelhaltig, was Leinöl ebenfalls nicht so schnell verderben lässt..
Das Problem mit essentiellen Fettsäuren ist, dass der menschliche Organismus diese nicht selbst herstellen kann. Sie müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden. Lange Zeit galt Fischöl als der Primus unter den Omega-Fettsäure-Trägern, wird vom Leinöl aber um das bis zu Zehnfache übertroffen. Das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren liegt im Leinöl bei 6:1, was als optimal für den menschlichen Stoffwechsel gilt.
Die schnelle Reaktion mit körpereigenen Stoffen (unter der Bezeichnung Freie Radikale bekannt) wirkt, wissenschaftlich nachgewiesen, gesundheitsfördernd. Mit ihrer Bindungskapazität leiten die Fettsäuren Stoffwechselvorgänge ein; helfen beim Abtransport von Giften und Schadstoffen. So kann Leinöl unter anderem bei Allergien[1], Bluthochdruck[2], Entzündungen[3] sowie psychischen Beschwerden[4] unterstützend wirken.
Damit leistet Spreewälder Leinöl einen wichtigen Beitrag zur gesunden und bewussten Ernährung.
[1] unter anderem:
O’Neill W, McKee S, Clark AF
Flaxseed (Linum usitatissimum) supplementation associated with reduced skin test lesional area in horses with Culicoides hypersensitivity
Can J Vet Res. 2002 October; 66(4):272-277
Rudin D
The Major Psychoses and Neuroses as Omega-3 Essential Fatty Acid Deficiency Syndrome: Substrate Pellagra
Biological Psychiatry, Vol.16, No.9, 1981
[2] unter anderem:
Singer P, Wirth M
Omega-3-Fettsäuren vermindern Blutdruck, Thromboxan B2 und Stressreaktionen bei essentieller Hypertonie
Ernährungs-Umschau 50, Heft 2: 40-44
[3] unter anderem:
Schnurr C, Adam O
Langzeitergebnisse einer Ernährungsintervention bei Patienten mit rheumatoider Arthritis.
2005
[4] unter anderem:
Johsi K, Lad S, Kale M, Patwardhan B, Mahadik SP, Patni B, Chaudhary A, Bhave S, Pandit A
Supplementation with flax oil and vitamine C improves the outcome of Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD) / Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids.
2006 Jan; 74(1):17-21. Epub 2005 Nov 28